Auch wenn der mainstream bevorzugt die Meinung vertritt, man solle dem Betrachter das Kunstwerk ohne Erklärung vor die Füße werfen, damit er sich eine eigene Meinung bilden kann und eine Erklärung in diesem Prozess eher hinderlich wäre, so gibt es doch Vorgänge, von denen der Betrachter nichts wissen kann, die aber, so meine ich, dem Verständnis zwischen Betrachter und Kunstwerk/Künstler dienlich sind und eine wichtige soziale Brücke bilden. Die Kluft zwischen dem Kunstinteressierten und dem Künstler ist, meiner Erfahrung nach, sowieso riesig, nahezu unüberbrückbar geworden. Diesem Missstand möchte ich entgegenwirken.
Das Bild ist das erste, das ich in meiner neuen Wahlheimat gemalt habe. Deshalb wollte ich in ihm meine ersten Eindrücke und Gefühle sichtbar machen. Auch wollte ich keine naturalistische Arbeit abliefern, sondern bei meinen gewohnten Ausdruckswerkzeugen bleiben und in Symbolen sprechen. Komposition war Nebensache. Das im Leben hier dominierende und durch den Mauerfall in den Hintergrund gedrängte, aber noch allgegenwärtige Lebensgefühl der Menschen hier in Ost-Brandenburg, das sich der Vereinnahmung durch das Neue trotzig entgegenstellt, steht im Vordergrund. Wer weiß schon, wie lange diese Welt noch gegen die aufdringliche, laute und konsumorientierte, plärrige Welt des Westens bestehen kann.
Die Reicherskreuzer Heide, die das Dorf umschließt, ist besonders nachts mit allen Sinnen spürbar, und so etwas wie die Schönheit der Vergänglichkeit liegt in der Luft. Die Gerüche, Stimmungen und Gestalten der 70er-Jahre kommen mir wieder ins Bewusstsein. Wie lange habe ich das schon nicht mehr gespürt! Wie lange habe ich das vermisst! In dieser Welt passen Erinnerung und Gegenwart für mich wieder zusammen.
Dieses Nachtbild war gestalterisch eine echte Herausforderung. Im Grau- und Schwarzbereich lassen sich Farben nur sehr bedingt als Gestaltung einsetzen, Kontraste schwinden und alles wird zu einer alles umfassenden Silhouette. Wie das dunkle sichtbar machen und wie im Dunkeln malen? Licht aus und Licht an -und- die Erinnerung bemühen. Lieber mehr Mond und das DDR-Logo schemenhaft dahinter, oder das Logo trotzig als Mond? Beides war im Versuch ok.
Klaus Stein