Interview mit dem Künstler und Maler Klaus Stein
geführt von Pierre Mathias
Klaus Stein und seine Frau haben ihre Klamotten gepackt, der Stadt Münster den Rücken gekehrt und sich in einem Dorf an der polnischen Grenze niedergelassen. War das der Wille, einmal etwas ganz anderes zu erleben und sich mit der Natur auseinander zu setzen? Genauso radikal wie in seinen Bildern hat Klaus sich entschlossen, der westlichen Zivilisation den Rücken zu kehren. Aus Protest oder aus der Erkenntnis, dass sie in einer Sackgasse steckt? Es ist für ihn zu früh, sich eine Meinung zu bilden, sehr wahrscheinlich wird sie eines Tages in seinen Bildern zum Ausdruck kommen. Hier zuerst seine ersten Eindrücke.
Was war der Grund, dich in einer sehr einsamen Gegend niederzulassen?
Eigentlich wollte ich nach El Hierro, auf die Kanaren, nun bin ich im Osten, in Reicherskreuz gelandet. Vorrangig war es wohl der Wunsch nach Veränderung, mehr noch: Die Suche nach etwas Neuem, etwas grundsätzlich Anderem und nach etwas, das andere nicht tun, so wie ich regelmäßig gegen den Strom zu schwimmen. Der Osten zog mich immer schon an und jetzt erlebe ich ihn, wie er wirklich ist und nicht aus den Medien, denen ich sowieso nicht traue. Und zu Recht, wie ich jetzt schon sagen kann.
Ist diese Region noch heute von der Ex-DDR geprägt? Wenn ja, was kann ein Wessi daraus lernen?
Immer, egal wann und wo ich unter Menschen bin, wird über die DDR und die Wende geredet, dieses Thema wird wohl in 100 Jahren noch nicht durch sein. Nach dem ersten Freudentaumel folgte jäh die Ernüchterung. Die alten Strukturen wurden zerschlagen, egal, ob gut oder schlecht, wie die Konsum-Läden zum Beispiel. Sie waren überall, auch in jedem kleinen Dorf erreichbar und Dinge, die man brauchte, bestellte man und holte sie am nächsten Tag. Das Angebot war durch gute Beobachtung auf die Kunden zugeschnitten. Gemüse und Obst waren im eigenen Garten oder Obst an den Straßen und Wegen vorhanden und wurde untereinander ausgetauscht. Heute muss man weit zu den Supermärkten fahren … und was ist mit den vielen alten Menschen in den Dörfern, die nicht fahren können? Das finnische Schulsystem, das wir so bewundern, entspricht in etwa dem der DDR. Mit dem Westlichen ist man hier nicht zufrieden, was ja auch im Westen so ist… ich könnte endlos fortfahren. Viele sagen, Reisefreiheit ist toll, wenn man Kohle hat … und die blöden, nicht vorhandenen Bananen? Man ist ja kein Affe. Wir sollten schnell begreifen, dass wir nicht die heldenhaften Retter unserer armen, hilfsbedürftigen Brüder und Schwestern aus dem Osten sind. Ein Umdenken findet hier statt. Es werden wieder Obst und Gemüse und natürlich Pilze untereinander ausgetauscht. Man sucht wieder nach den alten Freunden. Auch in den Lebensmittelketten bekommt man Gemüse aus der Nachbarschaft, davon profitiere auch ich und mir ist wieder einmal klar geworden, dass nichts zerstört werden sollte, von dem man keine Ahnung hat.
Wie empfindest du die Menschen im Dorf?
Hier leben mit uns 56 Menschen. Mit einigen sind wir schon befreundet, andere kennt man beiläufig. Eine echte Gemeinschaft ist das Dorf nicht mehr, aber alle Reicherskreuzer sind sehr hilfsbereit und meist zum Gespräch aufgelegt, auch und besonders zu ernsteren Themen. Wenn allerdings ein Dorfteich angelegt wird und auch bei dessen Pflege, helfen alle mit. Die Dorfbewohner haben gemeinsam entschieden, dass sie keine Asphaltstraße im Dorf haben wollen. Kurzerhand hat man das Pflaster aus dem Nachbarort geholt (die wollten eine Teerstraße) und hat es gemeinsam im Dorf verlegt.
Du warst bisher ein urbaner Künstler, wie kommst du mit der Einsamkeit einer abgelegenen Gegend zurecht?
Man sagt, Reicherskreuz sei das Ende der Welt. Hier ist es totenstill und ich liebe das. Sobald man das Dorf verlässt, ist man in der Heide und im Wald und vor allem allein, wirklich ganz allein und man begegnet niemandem, wo hat man das schon? Das ist Luxus!!!
Ist dein neuer Wohnsitz eine Quelle der Inspiration?
Es stürmen eine Menge neuer Eindrücke und Themen auf mich ein; für Bilder zu komplex. Das muss sich erst setzen. Ein Bild soll eh nur einen kleinen Teil eines Geschehens erfassen. Es muss in seiner plakativen Einfachheit den Betrachter so berühren, dass er mehr wissen will und das Gespräch sucht. Am Ende steht immer das Wort, so sehe ich das.
Und die Natur? Willst du sie in deiner Malerei umsetzen?
Ich lebe hier in der Natur und genieße es. Ob das in meine künstlerische Arbeit einfließen wird, weiß ich noch nicht.
Würde das Wort Idylle zu deinem Dorf passen?
Das Dorf steht unter Denkmalschutz, da es aus Feldsteinhäusern besteht. Es hat etwas von Astrid Lindgrens "Die Kinder von Bullerbü". Wenn ich am Dorfteich sitze, bin ich glücklich. Hier gibt es Hufnasen-Fledermäuse, Adler und Wölfe, Heide und Seen, und als wir neulich abends mit unseren Nachbarn am Feuer saßen, blökten 50 m weiter im Wald die brünftigen Hirsche, das ist Idylle pur! Nicht zu vergessen unsere Straßenlaternen, die das Dorf nachts in ein surreales Licht tauchen. Einiges erinnert mich an Vergangenes meines Heimatdorfes in den 60er Jahren, das hat sich allerdings – dank westdeutscher Gründlichkeit gründlich geändert. Hier ist es schön, wildromantisch und sehr besonders.
Ist dort Kummer zu spüren und wenn ja, wie würdest du ihn symbolisieren?
Viele Menschen sind hier arm, ärmer, als vor der Wende. Die Städte und Dörfer schrumpfen und das Durchschnittsalter steigt. Wer jung ist und bleiben will, arbeitet in Berlin zu meist beschissenen Konditionen, die Alternative ist Polen. Dort sind die Löhne und Arbeitsbedingungen oft besser. Wenn einem Mindestlohn und Arbeitszeiten scheißegal sind, kann man sich auch selbstständig machen und von einem Auftrag zum andern retten. An eine positive Zukunft mag hier keiner so recht glauben.
Ist deine Kunst ortsabhängig?
Nein!
Fühlst du dich dort freier als in der Vergangenheit?
Schon die geringe Bevölkerungsdichte ist befreiend. Zu lauschen, und wirklich nichts zu hören, außer den eigenen Tinnitus, ist ebenfalls sehr wohltuend. In Beeskow unterhielt ich mich mit einer älteren Frau, die ich eigentlich nur nach dem Weg gefragt hatte, ca. 2 Stunden. Mit einem Fahrradfahrer, der mir in der Reicherskreuzer Heide begegnete, gar 4 Stunden. Hier trifft man auf freundliche, sehr offene Menschen, die sich über Gespräche freuen und sich Zeit nehmen. Das ist neu für mich und ja, das ist Freiheit!
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